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geschichte

Alsleben und die Saaleschifffahrt von Bernhard Gremler

Teil 4: Mit Voller Kraft voraus

Über das Aussehen und über die Ausrüstung der Saaleschiffe in früheren Jahrhunderten liegt wenig Material vor. Auf alten Bilden sieht man hin und wieder kleine Boote. die rudernd oder stakend voraus bewegt wurden. Sie dienten dem Fischfang und dem Übersetzen zum anderen Ufer. Lastkähne findet man da recht selten. Sie besaßen Segelausrüstung (Takelung), denn stromauf konnten diese Kähne in der Hauptsache nur mit Windeskraft bewegt werden.

Die Ladefähigkeit der Saalefrachtkahne war in der Zeit um 1800 mit 20 bis 40 Tonnen
nicht sonderlich hoch. Sie stieg allerdings in den Jahren danach auf 60 bis 80 Tonnen an. Man benutzte Schiffe die offenbar in ihrem Typus über die Jahrhunderte hinweg gleich blieben. Flachbordig mit spitz auslaufendem Bug sahen sie beinahe aus wie verlängerte halbe Nussschalen. Größe und Ausrüstung variierte man je nach Verwendungszweck als Fischerboot, Fährboot oder Lastenkahn.

Fluss ab trieb man im Strom. unterstützt durch Abstaken vom Grund. Fluss auf ging es vorwärts nur mit Windeskraft. Die Takelung der kleineren Boote war das Rahsegel. Später verwendete man Überwiegend Gaffelsegel und das aus bewahrten Gründen.

Das Prinzip der schräg zum Hauptmast stehenden Segelstange (Gaffel) mit beliebiger Dreharbeit am Flußpunkt erwies sich für die Verhältnisse auf der Saale am günstigsten. Durch den ständig wechseln den Flusslauf musste das Segel andauernd neu in den Wind gesetzt werden.
Mit einem Gaffelsegel ging das am einfachsten. Einmal wegen der erwähnten leichten Drehbarkeit, zum anderen reichte zur Bedienung eine Segelleine (Schot) aus.

Überraschend aus heutiger Sicht wirkt auch die für kleine Boote relativ hochragende Takelung. die meist mit einem Wimpel an der Mastspitze endete. Hier ging es wohl darum, möglichst viel vom launischen Wind zu erhaschen. Dies war nicht ungefährlich. Bei starken Windböen bestand für leichte Schiffe durchaus Kentergefahr. Auf der Saale konnte man wegen der geringen Flusstiefe keine Kielverlängerung anbringen. Stabilisierendes Element war offenbar das relativ große und schwer im Wasser stehende Ruderblatt. Es wirkt beinahe wie ein hinten mit gezogenes Beiboot.

Ab 1800 etwa wird ein zunehmender Bedarf von Flusstransporten auf der Saale spürbar. Dabei wird auch die Elbe verstärkt befahren mit der Strecke Halle - Hamburg. Immer mehr Flusskähne werden gebaut. Sie werden immer größer. Viele Schiffer gehen dazu über, sich für schwierige Fahrtverhältnisse einen Flusslotsen an Bord zu nehmen. Diese Flusslotsen. es waren erfahrene. altgediente Schiffsführer, hießen auf der Saale "Haupter".

Informationstafeln, in der die gerade "freien" Haupter ihr Namesschild stecklten, befanden sich in den' Schifffahrtskontoren, später auch in den Schifffergaststätten (In der Kneipe machte man die besten Geschäfte.)

Trotz Segelwind und Haupter, blieben abenteuerliche Unternehmen. Die Fahrrinne musste vor der Zeit der durchgängigen Flussregulierungen von den Schiffern selbst gesucht werden. Zu diesem Zweck fuhr ein Besatzungsmitglied mit einem leichten Beiboot voraus, prüfte die Wassertiefe und kennzeichnete mit so genannten "Malstäben" .die Fahrrinne. Bei günstigen Reisebedingungen (Wind, 'Wassertiefe) konnte man in 10 Tagen:in Hamburg sein.
Die Route flussauf, zurück also von Hamburg, wurde nicht selten zu einem Martyrium. Bis zur Saalemündung ging es fast nur mit Windeskraft. "Trecke - Wind'" brauchte der Schiffer und wehte dieser nicht, konnte die Rückreise bis zu einem halben Jahr dauern.

Mancher Schiffer der wochenlang die schlaffen Segel anstarren musste und nicht voran kam, fluchte voller Grimm auf den Wind: "Hundestrecke!'"
Dieser Ausdruck wurde der einem Schifferfluch.
Es soll auch Schiffer gegeben haben, die in einem Anfall ohnmächtiger Verzweiflung zur Büchse griffen und in die Segel schossen, damit sich überhaupt etwas bewegte!
Noch schlimmer war es jedoch, wenn der Wind zwar blies, aber aus der Gegenrichtung. Dann mussten die Schiffe festgemacht werden und Lagen. ."vor Wind". Auch-hier ging nichts voran.
Wenn er aber wehte, der Wind, der Hund, so wurde ohne Verzug Tag und Nacht gesegelt. Jeder ..Lappen" wurde gesetzt, Jede Hand gebraucht. Die Schiffsbesatzung, die im allgemeinen aus drei Mann bestand, wurde bis auf sechs erhöht. Dass auch moderne Frachtkähne, die ohne Motorkraft Fuhren, bis in die 30er Jahre unserer Zeit hinein noch gern den Wind als Antrieb nutzten.
Die immer größer werdende Transportmasse pro Kahn. sie lag um 1860 schon bei 210 Tonnen, konnte mit der unzuverlässigen Windsbraut allein nicht mehr bewältigt werden. Eine neue Technik wurde eingesetzt, die jedoch uralten Zeiten entstammte. Es wurde getreidelt. Kolonnen bis etwa 20 Mann, sie hießen Treidler, Zugknechte, Bomätscher, zogen an einer langen Leine den Kahn vom Ufer aus vorwärts.

Am Rand waren schmale Gehwege angelegt. Leinpfade oder Treidelwege genannt. Wenn auch jede Unterstützung durch Windeskraft genutzt wurde, das Treideln blieb eine unglaublich harte und aufreibende Arbeit.Später wurden an der Saale auch Pferde zur Ausführung der Zugarbeit eingesetzt (ab 1876).
Drei Kolonnen führten die Treidelarbeiten an der Saale aus. Sie waren in Rosenburg, Nienburg und Alsleben stationiert. Die streng abgegrenzten Etappen wurden von jeder Kolonne eifersüchtig verteidigt. Schließlich ging es um Lohn und Brot. auch wenn es sauer verdient werden musste. "Die Alslebener Treidler hatten die Längste Strecke zu bewältigen, was aber ein Privileg war. Sie zogen die Schiffe von Bernburg bis Halle.Nach 1871 erfolgt eine großzügige Regulierung der deutschen Wasserstraßen. In den achtziger Jahren wurde auch die Saale einbezogen. Bei günstigem Wasserstand verkehrten nun bis zu 100 Tonnen Last auf der Saale. Für diese Massen musste eine neue Technik eingesetzt werden. Es begann die Zeit der Kettendampfer. Das Segeln und Treideln wurde abgelöst. Auch vorübergehende Versuche zur Einführung der Radschleppschifffahrt blieben ohne Resonanz. Schon 1836 befuhr ein Dampfboot die Saale, was wohl mehr als Versuch zu betrachten ist. Auch die 1878 eingesetzten Hinterradschlepper mit den Namen HALLE und PRlTZERBE hielten sich nicht.Nur was der Volksmund aus jener Zeit prägte, blieb länger bekannt. Ein Schiffsführer dieserSchlepper .wohnte auf der Pregelmühle in Mukrena, der andere am Schlackenbach im Dorfe Alsleben. Man bezeichnete die beiden wackeren Kapitäne und ihre Schiffe in Anlehnung an Antriebsaggregat und Wohnort schelmisch als "Pregelmühler" und "Bachmüller".
Die Kettenschleppschifffahrt, auch Tauerei genannt entwickelte sich in Frankreich ab 1820. Sie griff auf Belgien und Holland auf Deutschland über. Auf der Elbe wurde 1866 eine Versuchsstrecke eingerichtet. Der Erfolg führte zum weiteren Ausbau der Tauerei auf diesen Strom . Bis 1874 war auf der gesamten Elbe eine Schleppkette mit einer Länge von 668 km verlegt.
Bereits 1873 wurde die Saale angeschlossen.
Das Prinzip der Tauerei kann als recht einfach bezeichnet werden. An einer im Flussbett verlegten Stahlkette zog sich ein Dampfer vorwärts und schleppte dabei einige Lastkähne hinter sich her. Die Kette wurde dazu auf dem Vordeck des Dampfers aus dem Fluss gehoben und über mehre Zahnradtrommeln geführt. Die Zahnräder griffen in die Kettenglieder und zogen so den Dampfer voran.
Angetrieben wurden die Zahnradtrommeln von einer leistungsstarken Dampfmaschine. Die Kette glitt über das Heck des Dampfen wieder in das Flussbett zurück.
Die Ketten wurden in England aus bestem Stahl geschmiedet. Die Elbkette (668 km) son 7000 Tonnen gewogen haben.
Die Kettenschleppschiffahrt konnte sich lange mit Erfolg behaupten. Der Kohleverbrauch der Kettendampfer blieb gering. Die Schiffe selbst schmal und Flach gebaut hatten kaum Schwierigkeiten mit den Tücken der Flussläufe. Sie waren außerordentlich wendig. Das galt für den Schleppzug als Ganzes freilich nicht. Als weiterer Nachteil stellte sich der Aufwand für die Ketteninstandhaltung heraus. Auch das Anhalten des Schleppzuges an Stellen mit Kettenschlössem, bei Kettenrissen oder beim Entgegenkommen zweier Kettendampfer war mit viel Zeitverlust verbunden. Die dringendsten Arbeiten an der Kette wurden von der Dampferbesatzung selbst ausgeführt. Oft musste erst ein Ingenieur aus Magdeburg herzu geholt werden. Man kann aber sagen, eine Feldschmiede hatten sie immer an Bord für die dringlichsten Arbeiten.
Es mag für die Saaleanwohner. speziell für die Kinder, allemal ein besonderes Ereignis gewesen sein, wenn ein Kettendampfer qualmend und fauchend und mit ungeheurem Gerassel der Kette auf dem Stahldeck über den Fluss da hinzog.
Viele Kahnschiffer scheuten sich anfangs ihr Boot diesem polternden Ungetüm anzuvertrauen. Lieber wollten sie weiterhin Treideln und Segeln. Nur das nicht! Aber der Fortschritt war nicht zu übersehen: größere Frachten, schnellere Zeiten, höhere Umsätze, mehr Verdienst. So hatte die Kettenschleppschifffahrt jahrzehntelang ihre Blütezeit. Sie wurde erst durch die verbesserten Raddampfer, vor allem aber durch die Schraubendampfer, abgelöst. Auch der Einsatz von EiIdampfem, das war Frachttransport durch eigenen Antrieb (auf der Saale ab 1901),

Auf der Saale ging 1921 die Tauerei zu Ende. Die Schleppkette war reparaturbedürftig aber man scheute die Kosten und entfernte die Kette aus dem Fluss. Doch sollen Reststücke noch heute irgendwo auf dem Flussgrund ruhen. Ein Stück davon an der Saalebrücke bei Alsleben. Das jedenfalls behaupteten alte Fahrensleute aus dem einstigen Schifferstädtchen noch vor etlichen Jahren.
Die technische Entwicklung vollzog sich in immer rasanteren Zügen. Dabei behaupteten sich viele Jahre lang drei Prinzipien mit gleichen Erfolgsaussichten nebeneinander. Anfangs besaßen alle Flussscbiffe, es waren meist Lastkähne mit EIbe-. Saale- oder Finowmaß kein eigenes Antriebsaggregat. Sie wurden geschleppt, wurden von Zugbooten ohne eigene Ladekapazität am Seil vor angezogen. Dies geschah zuerst mit Schleppdampfern später mit Motorschleppern.
Das Bild der ständig auf dem Fluss dahingleitenden Schleppzügen war auf der Saale lange Zeiten hindurch stets gegenwärtig.
Daneben verkehrten die bereits erwähnten Eildampfer. Sie besaßen eine starke Maschine sowie Frachtraum und eine eigene Verladevorrichtung. Auch hier dominierte zunächst die Dampfmaschine. später der Dieselantrieb. Diese Schiffe trimmte man auf Schnelligkeit durch Maschinenstarke. Sie konnten im Ausnahmefall auch Schleppdienste übernehmen.
Der dritte und im heutigen Flussverkehr einzig noch anzutreffende Frachtschifftvp betrifft die Motorschiffe. Es handelt sich hierbei um Frachtkähne mit integriertem eigenem Antrieb durch eine Dieselmaschine. Dies bedeutete Unabhängigkeit und Flexibilität bei bester Wirtschaftlichkeit. Die Anschaffungskosten waren aber sehr hoch und von vielen Kahnschiffern nicht aufzubringen. So behalfen sich eine Zeit lang viele, die mit eigener Kraft vorankommen wollten, mit einer Zwischenlösung. Ein mit starkem Dieselmotor ausgerüstetes Beiboot wirkte als Schubaggregat am Heck des Frachtkahnes. Dies war auf Dauer aber unbequem und bewährte sich schließlich nicht.
So mischten sich lange Zeit Schleppzuge. Eildampfer und Motorkähne zu einem bunten Bild des Schiffsverkehrs auf der Saale, ergänzt durch Schubschiffe als jüngste Entwicklung. Bei diesem Stand der Technik der Saale-Frachtschlffahrt kam für die traditionsreiche Alslebener Schifferorganisation wie auch für alle anderen vor einigen Jahrzehnten durch staatliche Fehladministration und Vernachlässigung der Wasserstraße Saale ausgelöst das Ende.
Dass in erfolgreichen Zeiten Saaleschifffahrt und Badevergnügen in Alsleben keinen Gegensatz bildeten.
Wie hart die Arbeit der Schiffer auf dem Wasser nicht selten mit Aberglauben und mit den geheimnisvollen Wassergeistern der Saale in Berührung kam sei im nächsten Beitrag dargelegt.